Jahrelang blickte ich aus den Fenstern meiner Wohnung in Richtung Norden über die Flucht der Straße und auf eine Brandmauer. Die Brandmauer trat unvermittelt und den Blick absorbierend auf, ein trostloser Anblick. Sie war das unbeabsichtigte Ergebnis vom Abschied einer überdimensionierten Stadtentwicklungspolitik unter dem Leitbild der autogerechten Stadt in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, statt Abriß des Hauses samt Brandmauer und Bau einer Ost-West-Stadtautobahntrasse entstand eine Straße in der Lücke zwischen der Brandmauer und dem Grundstück „meines“ Hauses.

Die Nachbarschaft veränderte sich. Neubau, Sanierung, Einrichtung eines Nachbarschaftsparks, Anlegen neuer Plätze gaben der Umgegend ein neues Gesicht, einzig die Brandmauer blieb erhalten – steinernd. Im letzten Jahr wuchs überraschend aus dem Hof des Hauses der Brandmauer ein Kran und natürlich lag der Schluß nahe, daß sich auch an diesem Haus etwas ändern wird.
Ein Jahr später ist die Brandmauer keine Brandmauer mehr sondern eine neue Fassade mit Fenstern und Balkonen. Es scheint eine durchgreifende Modernisierung des Hauses gegeben zu haben.

Schaut man die Fassade allerdings genauer an so bemerkt man im dritten Geschoß von Oben gerechnet einen Balkon ohne Zugang, ohne Balkontür und Fenster. Selbst weitere Fenster sind rechts und links davon nicht eingebaut. Ist das nicht ungewöhnlich, stellt sich doch die Frage „warum nicht?“. Wohnen dort unbeugsame Mieter, die sich der Modernisierung widersetzen? Ist das etwa eine gewollte Modernisierungslücke des Bauherren? Meine Phantasie jedenfalls findet beim Anblick dieser Unterlassung viel Raum zur kreativen Vorstellung.
2 Gedanken zu “Eine ungewöhnliche Modernisierung”
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