Er entfaltet sich unbemerkt, greift immer zu auch wenn wir uns anstrengen ihn zu vermeiden – der Rückschaufehler. Zur Begriffsklärung verweise ich auf den Artikel in der Wikipedia. Holadiho hat mich dankenswerterweise an den Rückschaufehler in einem Social Media Beitrag zur „Schulz-Story“ im „Der Spiegel“ erinnert. Der Fehler erwischt mich regelmäßig. Drei Beispiele in der Politik beziehungsweise politischen Kommunikation möchte ich im Zusammenhang mit dem Fehler kurz ausführen.
Zwei Seiten verzerren die „Schulz-Story“. Der Autor baut in sein Werk eine retrospektive Verzerrung ein und auch der Leser liest den Bericht in Kenntnis des Ergebnisses und verzerrt in diese Richtung. Nicolas Nassem Taleb behandelt in seinem Buch „Der schwarze Schwan“ den Rückschaufehler. Ab Seite 30ff erläutert Taleb wie das Buch „Berliner Tagebuch – Aufzeichnungen 1934-1941“ von William L. Shirer seine Sicht auf die theoretische Geschichte und Philosopie veränderte. Shirer beschreibt in seinem Tagebuch Ereignisse und seine Gedanken in der Zeit des Nationalsozialismus ohne Kenntnis der Zukunft. Ereignisse werden notiert wie sie abliefen und Gedanken wie sie in dem Moment waren. Taleb wird deutlich, daß es einen Unterschied im im Denken und Schreiben zwischen dem Vorher und dem Nachher gibt.. (Tatsächlich ist das Tagebuch redigiert erschienen!! In welchem Umfang ist unklar). Wie kann uns dieser Hinweis helfen? Machen wir folgendes Gedankenexperiment und stellen uns einen Bericht vor, indem einerseits die politischen Inhalte des Tagebuchs von Martin Schulz (ja er schreibt ein Tagebuch) und Interviewsequenzen mit ihm im Original und andererseits daneben die unbearbeiteten damaligen Notizen des Autors stünden. Wäre dieser Bericht ein anderer? Sicherlich enthielte der Bericht ein völlig anderes Denk-Bild der Ereignisse und Erwartungen. Eine Seite der Verzerrung wäre abgestellt, die Verzerrung des Lesers jedoch nicht. Trotzdem wären für den konzentrierten Leser andere Einsichten möglich.
Die Agenda 2010 Gesetzgebung und ihre Auswirkung wird in der Rückschau verzerrt gesehen. Es ist überraschend daß gerade auch Wissenschaftler ernsthaft behaupten, durch diese Gesetzgebung sei ein Aufschwung in Gang gesetzt worden, die Gesetzgebung sei „ursächlich“. Dies widerspricht allen Möglichkeiten der Wissenschaftlichkeit, der Empirie und „Messbarkeit“ sowie der Vernunft. Hier verzerrt, gerade auch in einem so komplexen Feld wie die Ökonomie, ein Ereignis das nach einer Gesetzgebung folgt, die Hoffnungen, die in die Gesetzgebung gesetzt wurden in Richtung des Ereignisses.
In der Tageszeitung des Vertrauens stand ein langer Artikel über die Berliner Wohnungs- und Mietenpolitik von einem honorigen Autor, der diese Politik schon seit dem letzten Jahrhundert journalistisch begleitet. Er wirft ehemaligen Bau- und Finanzsenatoren vor Schuld an der heutigen Wohnungsmisere zu haben. Ich kann ihm soweit folgen, daß es schon vor Jahren kritische Stimmen gab, die diese Misere als Zukunftsszenario beschrieben. Schuldvorwürfe sehe ich eher kritisch. In der Politik steht die Exekutive nicht allein, sondern es gibt eine gesetzgebende Versammlung, die bestimmte Handlungsweisen der Exekutive überträgt. Zudem gab es eine Koalition, die die Dinge gemeinsam regelt und verantwortet. Ebenfalls ist zu berücksichtigen, daß wissenschaftliche Untersuchungen zur Bevölkerungsentwicklung nach überoptimistischen Prognosen in Jahren keinen Bevölkerungsdruck auf die Stadt prognostizierten.
Drei einfache Überlegungen zum Schluß:
- Der Rückschaufehler ist immer präsent; es bedarf großer Anstrengung ihn zu minimieren.
- Urteile über die Vergangenheit sollten auf verschrifteten oder vertonten Gedanken, Erwägungen, Erwartungen, Prognosen aus der Vergangenheit fußen.
- Ein „Tagebuch“ oder eine andere Art des Protokolls zu führen ist lohnend.
Ein Gedanke zu “Der verflixte Rückschaufehler”
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