Nachgedanken zur Sache mit dem Tempelhofer Feld

Zu der Sache mit dem Tempelhofer Feld muß ich für mich noch ein paar Nachgedanken niederschreiben. Nachgedanken deshalb, da mich teilweise die Reaktionen in Politik und Presse zum Ausgang des Volksentscheids doch ziemlich verblüfft haben: einerseits – Berlin sei im Stillstand, nichts geht mehr, Sankt Florian allerorten – andererseits – niemand brauche sich jetzt mehr über steigende Mieten zu wundern. Die ersten Reaktionen verbuche ich in der Kategorie politische Leerformeln, letztere allerdings scheint mir interessant zu sein und sollte genauer beleuchtet werden. Meine Gedanken dazu sind sicherlich vorläufig, unvollständig und biased, mindestens durch den Rückschaufehler.

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Offiziell ist der soziale Wohnungsbau in Berlin seit 2002 eingestellt. Die Gründe dafür sind vielfältig, lagen z.B. im Rückzug aus der Förderung durch den Bund, in der schwierigen Haushaltslage des Landes und in einem methodisch fragwürdig berechneten Leerstand von 100.000 Wohnungen, der seltsamerweise trotz Bevölkerungsgewinnen über die Jahre fortgeschrieben wurde und sich schließlich in Luft auflöste. Dieser fiktive Leerstand diente als Argument ausreichender Wohnraumversorgung. Bestände kommunaler Wohnungs-unternehmen wurden an Finanzinvestoren verkauft, die Privatisierung des Mietwohnungsbestands in Berlin war erklärtes Ziel der Politik. Dieses Ziel ist erreicht, heute befindet sich der Großteil des Berliner Wohnungsbestandes auf dem freien Wohnungsmarkt. Flankierend dazu setzte die Politik auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt um auf diese Weise über Hebung des allgemeinen Einkommensniveaus auch ärmeren Schichten den Zugang zu angemessenem Wohnraum zu gewähren. Ideen, die im damaligen Zeitgeist lagen aber nicht überzeugen können. Zunehmende Residualisierung aber auch Verharren in der Wohnung durch steigende Mieten in den Beständen sind die Folgen. Nun agieren auf dem freien Wohnungsmarkt unterschiedliche Anbieter mit unterschiedlichen Verwertungsinteressen. Finanzinvestoren und das ist ihr legitimes Interesse wollen eine möglichst gute Verzinsung des eingesetzten Kapitals, die Wohnungen in diesen Beständen stehen unter Miet- erhöhungsdruck. Kleine Privateigentümer, die ihre Mieter noch persönlich kennen, möglicherweise auch im selben Haus wohnen, haben Interessen an langfristiger Vermögenssicherung und kontinuierlichen Mieteinahmen, hier wird der Mieterhöhungsdruck geringer sein.

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Vewirrende Wahlergebnisse

Die ersten Ergebnisse der Wahlen zum europäischen Parlament zeichnen sich ab und verwirren mich in Teilen. Da ist einmal dramatisch schlechte Wahlbeteiligung in einigen europäischen Ländern wobei die geschätzten 13% in der Slowakei der Tiefpunkt sind. Das Abschneiden der FN in Frankreich macht mich ratlos. Ich bin gespannt auf die Wahlanalyse dazu.

Wenn ich die Ergebnisse in Deutschland betrachte so erfreut mich natürlich das bessere Abschneiden der Sozialdemokratie aber andererseits ist das Abschneiden dieser neuen stockkonservativen Partei, die ich nicht mit Namen nennen möchte, eher schwer erträglich. Aber vielleicht bringt die zunehmende Individualisierung oder Entformierung der Gesellschaft solche Strukturen, die vorher unterschwellig waberten, klarer ans Licht. Denen sollte politisch begegnet werden.

Schaue ich auf meine Stadt, auf Berlin, so ist immer noch ein krass unterschiedliches Ost-West-Wahlverhalten festzustellen. Zudem schleifen sich neue Außen-Innen-Strukuren ein, mit besonders gutem Abschneiden dieser stockkonservativen Partei in Reinickendorf, Spandau und Marzahn-Hellersdorf. Dazu kommt noch der Ausgang des Volksentscheids zum Tempelhofer Feld, daß die Initiative klar gewinnt. Die Auswirkungen auf die Stadtpolitik sind da sicher noch nicht abzusehen aber ich hoffe auf die Einsicht des professionellen Politikbetriebs Stadtentwicklung intelligenter anzugehen. Bürgerbeteiligung in dem Bereich muß sicher neu gedacht werden.

Alles in allem werfen die Ergebnisse dieses Wahltags mehr Fragen auf als sie beantworten.

Die Sache mit dem Tempelhofer Feld

Am kommenden Sonnntag werden die Wahlen zum Europaparlament und der Volksentscheid zum Erhalt des Tempelhofer Felds sein. Während ich zum ersten Punkt auch heute eine klare Entscheidung fällen kann fühle ich mich bei der Volksabstimmung ziemlich verloren. Ich bin entschieden für eine bauliche Nutzung von Teilen der Fläche zu Wohnzwecken bin aber mit dem Masterplan des Senats nicht zufrieden. Nach meinem Dafürhalten ist er ein Produkt des Getriebenseins, ein Action Bias der Stadtpolitik. Ich kann nicht erkennen, daß die vorliegenden Pläne eine wirklich durchdachte städtebauliche Konzeption haben, ein Entwickeln von neuen Quartieren hin zu den bestehenden, ein Verknüpfen der Infrastrukturen und Gelegenheiten. Da ist zu wenig Wohnen, zuviel Gewerbe und die Landesbibliothek von der heute schon klar ist, daß die geplanten Kosten nicht zu halten sind. Einem Konzept, daß ich für falsch halte, kann ich nicht leichten Herzens zustimmen. Vielleicht sollte dem Feld in der Tat noch Zeit gegeben werden und ein neuer Anlauf zu einer vernünftigen Bebauung politisch und konzeptionell in ein paar Jahren gemacht werden. Möglicherweise sind ein Ja für 100% Tempelhof und ein Nein für den Masterplan die vernünftige Lösung. Ich werde weiter darüber nachdenken.

Eine Entscheidung per Volksentscheid hat für mich auch demokratie-theoretische Implikationen. Mehr als vierhunderttausend Einwohner der Stadt, die nicht Paßdeutsche sind, haben kein Stimmrecht, sind aber von den Folgen betroffen zumal wenn sie in der Nachbarschaft wohnen. EU-Ausländer, die auf Bezirksebene aktives und passives Wahlrecht haben sind aufgrund des Volksentscheids von einer Mitbestimmung ausgeschlossen. So könnten EU-Ausländer, zwar zum Bürgermeister oder Baustadtrat in Tempelhof gewählt werden, dürften die Folgen der Anstimmung administrieren aber nicht mitentscheiden. Das ist eine seltsame Situation und ich meine da sollte man über bessere Mitbestimmungsformen nachdenken.

Europa ist verwirrend

Vom 22. bis zum 25. Mai wird die Wahl zum Europäischen Parlament stattfinden. Natürlich gibt es dazu auch wieder einen Wahl-O-Mat, den ich gleich benutzt habe. Wie immer ohne Gewichtung und ohne mich an Partei(tags)beschlüsse/ -positionen bewußt zu erinnern. Daß auf dem Wahl-O-Mat ein ideologischer Filter liegt habe ich bereits in meinem Beitrag zur Bundestagswahl 2013 geschrieben. Trotzdem hat mich das Ergebnis ein wenig überrascht:

Wahl-o-mat zur Europawahl 2014
Wahl-o-mat zur Europawahl 2014

Für soetwas wie Konstanz in der Bewertung sorgen der zweite und dritte Platz der Linken und der Grünen. Der erste Platz für die FDP ist dann doch etwas irritierend. Ich habe das Ergebnis im Nachhinein nicht auf die Positionen der Parteien zu den Statements runtergebrochen um mir das Zustandekommen zu erkären. Bin gespannt auf das Wahlergebnis.

Drei Bundestagswahlen mit dem Wahl-O-Mat

Drei Bundestagswahlen lang begleitet mich der Wahl-O-Mat wobei er sicherlich keine Rolle für mein Wahlverhalten spielt aber teilweise überraschende oder gar nach eigenem Empfinden paradoxe Ergebnisse liefert. Die Macher des Wahl-O-Mat liefern die Erklärung für diese Paradoxien auf ihrer Webseite gleich mit, nämlich Reduzierung der Inhalte von Wahlprogrammen auf ja/nein-fähige Aussagen und Thesenauswahl durch eine Redaktion. Damit bekommt der Wahl-O-Mat einen ideologischen Filter, was meiner Ansicht nicht schlimm ist, es muß nur klar sein.
Ich habe mir die Versionen der Bundestagswahl von 2005 und 2009 heruntergeladen, mit meiner heutiger Perspektive genutzt und zusammen mit der 2013-Version gelistet. Hier das Ergebnis:

  2013 2009 2005
SPD 83% 64% 68%
Linke 76% 73% 77%
Grüne 72% 70% 68%
Piraten 71% 71% —-
FDP 59% 51% 45%
CDU/CSU 47% 41% 32%

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Politcamp Nummer Vier

Das diesjährige Politcamp, wieder im Radialsystem in Berlin, war auch mein kürzestes. Leider konnte nur ein Stündchen am Sonnabend und am heutigen Sonntag erst ab 12 Uhr teilnehmen, habe also allerlei verpaßt. Glanzlicht des Tages war für mich der Auftritt der Bundesjustizministerin Leutheuser-Schnarrenberger, die in der Diskussion souverän und aufgeklärt agierte und am Ende ihres Auftritts einen langanhaltenden Applaus bekam. Tweets auf der Twitterwall zogen sympathisch-skurrile Vergleiche mit Helmut Schmidt.

Gab es inhaltlich etwas Neues? Die Antwort ist schlicht und ergreifend – nein. Alle angesprochenen Themen waren die alten, die wohlbekannten, diejenigen, mit denen wir uns teilweise seit Jahren herumschlagen. Ist das beunruhigend? Ich meine nein, denn Themen rund um die Digitalisierung sind bereits in die Fachpolitiken diffundiert, von Arbeit über Gesundheit bis Bildung. Das ist gut.

Die Teilnehmerzahl des diesjährigen Politcamps war deutlich geringer als in den Vorjahren, sie regressiert zum Mittelwert.

Päuschen beim Politcamp 2012
Päuschen beim Politcamp 2012

Auch in diesem Jahr lud das „Draußen“ der Location zum gelegentlichen Prokrastinieren der ein oder anderen Session ein.

Im Rausch der Geschwindigkeit

Im Laufe dieses Nachmittags tauchte dieser Artikel auf t3n in meiner Twittertimeline auf. Ich erinnerte mich wieder an Googles PageSpeed, das, wenn ich nicht alles vergessen habe, nicht den Seitenaufbau in einer Zeiteinheit mißt sondern prüft welche Eigenschaften auf einer Webseite vorhanden sind, die einen schnelle Seitenaufbau verhindern. Also im Klartext wird die Frage beantwortet ob eine Webseite nach Googles Meinung auf Geschwindigkeit getrimmt ist. Ich fragte mich nun, wie die Webseiten der politischen Parteien optimiert sind und ob es wenigstens einen stochastischen Zusammenhang zwischen guter Netzpolitik und performanter Seite gebe könne.
Die Rangfolge von heute 18 Uhr sieht wie folgt aus, maximal 100 Punkte können erreicht werden:

1. FDP 88
2. Bündnis 90/Die Grünen 78
3. CSU 77
4. Piratenpartei 72
5. Die Linke 61
6. SPD 56
7. CDU 38

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Ungleichgewicht – ist das was Offline geht, Online problemlos?

Der Markus Breuer hat mit kühlem Kopf und heißem Herzen einen Blogpost zum Thema Adreßhandel als Antwort auf die Aufgeregtheiten, die ein Artikel über Google in verschiedenen „Qualitätsmedien“ verursacht hat, geschrieben. Ich möchte an Markusens Beitrag anschließen und frage mich ob ähnliche Handlungen innerhalb oder außerhalb des Internets unterschiedliche Qualitäten zugeschrieben bekommen. Das Beispiel, das ich wähle ist der Zeit in Berlin angemessen, es handelt sich um Wahlwerbung der/für politische Parteien.

Jeder Wahlkampfmanager hat seinen bewährten Instrumentenkasten. Ein Instrument, daß wahrscheinlich jede Partei benutzt, ist die Erstwähleransprache. Die Erstwähleranspracher erfolgt in der Regel per Brief, als Anregung doch überhaupt an der Wahl teilzunehmen oder auch als Einladung zu Events. Nun sind die Erstwähler den Parteien zunächst unbekannt und so bedient man sich selbstverständlich den (kommunalen/staatlichen) Melderegistern. Natürlich nur, wenn der Erstwähler der Nutzung seiner Daten nicht widersprochen hat. Ich bezweifle allerdings, daß der Großteil der Erstwähler sein Widerspruchsrecht kennt.
Das zweite Instrument, das Wahlkampfmanager virtuos beherrschen ist die briefliche „zielgruppengerechte“ Ansprache nach Parteienaffinität. Briefliche Parteienwerbung wird heutzutage natürlich nicht per Zufall und über die Fläche gestreut, sondern grundsätzlich nur an diejenigen adressiert, von denen man auch den Gang zur Urne im eigenen gewünschten Sinne erwartet. Dieses Verfahren klappt hervorragend, verringert Streuverluste (hört, hört) und erbringt eine ordentliche Kosten-Nutzen-Relation (und wird natürlich über Adreßhändler abgewickelt). Das Ganze ist datenschutzrechtlich geprüft und für problemlos befunden worden. Niemand käme auf die Idee an einem solchen Verfahren Anstoß zu nehmen.

Eine solche Werbemaßnahme kann auch jederzeit technisch problemlos und methodisch sauber Online durchgeführt werden. Dabei werden die Parteienaffinitäten einem Rechner (Client) zugeordnet und der Click des Internetnutzers auf die werbetreibende Seite samt der Affinität an einen Adserver gesendet, der dann die entsprechende Wahlwerbung ausliefert. Allerdings, aufgepaßt! Parteienaffinitäten in Verbindung mit der IP-Adresse, die technisch für den Transport durch das Netz gebraucht wird, sind nach Maßgabe der Aufsichtsbehörden besondere personenbezogene Daten nach §3 (9) BDSG. Und in dieser Kombination wäre eine gesonderte Einwilligung des Adressaten zwingend notwendig. Ohne diese Einwilligung wäre also unter den gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen eine solche Werbemaßnahme rechtswidrig.

Die Frage, die ich mir stelle, ist also, bedarf es für die briefliche Werbung von Parteien keine gesonderte Einwilligung? Und falls doch, wieso geben die Bürger millionenfach diese Einwillung für briefliche Parteienwerbung und wie wäre die Response Online? Oder braucht es für die briefliche Parteienwerbung keine gesonderte Einwilligung und falls nicht – warum?
Oder werden einfach nach Gusto unterschiedliche Maßstäbe benutzt um ähnliche Sachverhalte zu legitimieren?

Was wußte eigentlich das ehemalige Kabinett?

Es macht für mich eigentlich keinen Sinn Inhalte von Presseartikeln in Blogs zu wiederholen aber mir bleibt vor Empörung die Luft weg, wenn ich diesen Beitrag zum unsäglichen Verhalten von Ex-Verteidigungs- und in Bälde Ex-Arbeitsminister Jung im Tagesspiegel lese. Besonders der folgende Ausschnitt ist unfaßbar:

… Offenbar hat das Verteidigungsministerium in den Wochen vor der Bundestagswahl massiven Druck auf Mitarbeiter des Hauses und im Bereich der Bundeswehr ausgeübt, die internen Berichte über den Hergang der Nato-Angriffe zu verschweigen. In Parlaments- und Regierungskreisen war am Freitag von der Androhung sofortiger Entlassung bis hin zu strafrechtlichen Folgen die Rede. Demnach sollen mehr als ein Dutzend Mitarbeiter von der Existenz der Berichte gewusst haben….
… Ob Jung selbst angeordnet hat, die Mitarbeiter wegen der bevorstehenden Wahl zum Schweigen zu verpflichten, ist nicht bekannt. Klar ist allerdings, dass die CDU massive Stimmverluste hätte befürchten müssen, wenn zuvor herausgekommen wäre, dass Jung öffentlich Zivilopfer abgestritten hat, obwohl er Hinweise auf das Gegenteil hatte. Genauso offen ist bisher, ob das Kanzleramt und das Außenministerium unter Steinmeier davon wussten…

Das ein Ministerium bzw. ein Minister so mit seinen Mitarbeitern und der Öffentlichkeit umgeht ist ein Skandal. Und ebenso deutlich ist zu fragen ob davon eigentlich die Ex-Kabinettskollegen und die Bundeskanzlerin wußten. Falls sie von diesen Vertuschungsmaßnahmen wußten ist es in der Tat eine Staatsaffäre.