Zwischen den Jahren

Die Redewendung „Zwischen den Jahren“ hat es tatsächlich zu einem Eintrag in die Wikipedia geschafft. Dort werden Herkunft und Sinn sehr schön in aller Kürze dargestellt.

Für mich ist „Zwischen den Jahren“ der Zeitraum vom 27.12. bis zu Silvester und hat von Kindesbeinen an seine sehr eigene Bedeutung. Festgesetzt im „elterlichen Gefängnis“ an den Weihnachtsfeiertagen war der 27.12. der erste Tag, an dem meine Freunde und ich uns wieder trafen. Als Kurze im Juvenilstadium besorgten wir uns von irgendwoher Ladyknaller und Chinakracher. Die Matten der Ladykracher bauten wir mit ungeheurer Geduld auseinander um dann die Tage bis Silvester einen Haufen Dinge, von Auspuffrohren oder Baumrinden bis zu Briefkästen und Schneehaufen, mit den Knallern zu traktieren. Das große Finale unseres Tuns war natürlich der Silvesterabend. Später dann, als Jugendlicher wurden zwischen den Jahren Folgen des Beat-Clubs wiederholt, die wir jeden Nachmittag im TV sahen. (Die Fernsehlandschaft war eine deutlich andere als heute) Das Lebenstempo damals war ein ganz anderes, so war die Zeit deutlich gedehnt und diese fünf Tage erlebte ich als fast endlos.

Heute empfinde ich die Tage ähnlich denn ich versuche sie dem aktuellen Alter angemessen, wie „damals“ zu verbringen. Zurück vom Weihnachtsbesuch ist dieser Zeitraum ohne Termine, ohne To-Do-Listen und ohne Verpflichtungen. Auch die täglichen Handlungen wie beispielsweise das Frühstücken sind entschleunigt. So ist dieses „Zwischen den Jahren“ also völlig leer um das Lebenstempo zu drosseln und die Zeit zu dehnen. Ich fühle mich gut dabei.

Über die zarte Digitalisierung meines Fernsehkonsums

Kabelanschluß ist in meiner Wohnung Teil der Mietsache, schon von Beginn an und zunächst als analoger, später in den Nuller-Jahren als digitaler Anschluß. Das hat mich nie sonderlich interessiert, genügend Programme waren immer da. Die letzte Hardware dazu habe ich von zehn Jahren gekauft, einen mächtigen Röhrenfernseher von Loewe, Modell Planus. Zur Kaufzeit fand ich, daß das Ding einen wunderbar großen Bildschirm mit Bild-im-Bild-Funktion und Stereolautsprechern hatte. Der Planus entwickelte sich im Laufe der Zeit zum unverzichtbaren Inventar, den ich mit allen seinen Macken und Zacken schätzen lernte. Seine erratischen Lautstärkeschwankungen zwischen Sendungen und Programmen, seine ausgeleierte Abdeckklappe für die Funktionsknöpfe, solcherlei Eigenheiten machen ihn halt liebenswert. Digitalprogramme kann er nicht empfangen, war auch unnötig. Dies änderte sich Mitte Oktober als der Kabelbetreiber des Vertrauens unvermittelt etliche Dritte Programme des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks im Analogbereich abschaltete und nur noch digital übertrug. Die Holde und ich waren konsterniert. Was tun? Ich schaute mich zunächst im Internet, dann in verschiedenen Geschäften nach neuen Fernsehern um und kapitulierte vor dem aktuellen Stand der Fernsehtechnologie. Ein neuer Fernseher kommt mir nicht ins Haus.

Dieses Wochenende sollte die Lösung bringen, ein Digitalreceiver für den Kabelempfang mußte her. Entschlossen begab ich mich zum Alexanderplatz und hatte zunächst Mühe, den neuen Standort des Medienhändlers des Vertrauens zu finden, so lange war ich nicht mehr dort. Ein ausgesprochen netter Verkäufer erklärte mir die Funktionsweisen verschiedener Modelle und ich erstand ein Gerät im zweistelligen Eurobereich und ein neues Scartkabel. Der Anschluß des Gerätes und die Erstinstallation waren kinderleicht.

Ich bin begeistert. Ich kann nun wieder alle Programme, die ich auch vorher hatte und ein paar mehr empfangen. Der Neomanie in der TV-Geräte- und Fernsehtechnologie kann ich mich mit der Weiterverwendung meiner alten Röhrenkiste elegant entziehen. Allerdings findet schließlich doch eine zarte Digitalisierung meines Fernsehkonsums statt. Diese ist aber meinen Bedürfnissen angemessen.

Technik mit Eigenleben

Ich denke mal, recht viele Menschen haben die Vermutung, ihre technischen Dinge führen ein Eigenleben. Sei es, daß sich die Dinge widerborstig zeigen und sich nicht steuern lassen (wollen) oder sei es, daß sich die Dinge ohne menschliches Zutun an- oder ausschalten, sich in Bewegung setzen oder aber die Bewegung stoppen. Ich muß zugeben, daß mich dann gelegentlich ein seltsames Gefühl beschleicht obwohl ich genau weiß, daß die technischen Dinge vollständig determiniert sind und sich immer ein Grund finden läßt. Aber das ist gewiß der Punkt, manchmal bin ich eben nicht in der Lage eine Erklärung zu finden und die Ungewißheit läßt Spekulationen blühen und ich schreibe den Dingen ein Eigenleben zu. Besonders der elektronische Timer mit Stopuhrfunktion macht sich gelegentlich selbstständig.

Technik mit Eigenleben
Technik mit Eigenleben

Neuerdings hat er die Neigung, wie auf dem Bild zusehen ist, aus der Ruheposition mit einem Pieps einfach eine Sekunde weiterzuzählen. Merkwürdig, nicht wahr. Er hat erstaunlicherweise sein Verhalten geändert, früher hat sich die Timerfunktion ohne mein Zutun eingeschaltet und das Runterzählen der Zeit mit lautem Signalton beendet. Dieser kleine Timer schafft es sich mit seinen Mucken in meine eigene alltägliche Lebenserfahrung so einzuschleichen, daß ich ihm auch noch diesen kurzen Blogpost widme. Ich finde das höchst amüsant.

Ob das Aufschreiben hilft?

Gut eine Woche nach dem Aufschreiben meiner Filtertüteneigenheit ist sie verschwunden. Bin erstmal fasziniert davon und habe da aber eher noch mehr Fragen: Ist das durch das Aufschreiben verschwunden und falls ja, für wie lange oder ist das nur vorübergehend? Wie funktioniert der Mechanismus? Welche anderen Tätigkeiten können helfen? Irgendwie scheint das ja ein Gewinn an Autonomie zu sein. Und falls das so wäre, welche weiteren Eigenheiten, insbesondere im sozialen Kontext lassen sich so verändern? Kann sich die Lebensqualität dadurch verbessern? Das wird sicher noch eine interessante Reise ….

Filtertüten verwirren mich

Unsere Kaffeemaschine ist eine olle Kruke, über sieben Jahre alt, so ein weißes Standardgerät von Severin mit zwei Thermokannen, jeweils acht Normtassen fassend. Wir benutzen zum Kaffeekochen naturbraune, ungebleichte Filtertüten der Größe 4.
Vor ein paar Wochen kam die Holde auf die Idee jeden Kaffeefilter zweimal zu benutzen und bat mich dieses ebenfalls zu tun. Die beiden Gründe, ökologische und pekuniäre Sparsamkeit sind einleuchtend. Dissens gibt es nicht, dann also einfach machen. Die Überraschung folgt auf dem Fuß, denn eine Verhaltensänderung ist für mich gar nicht so leicht. Wenn ich morgens die zweite Kanne Kaffee aufsetzte, hatte ich die Bitte völlig vergessen und eine neue Filtertüte benutzt. Die Holde mußte mich also erinnern und mahnen. In meinem Leben habe ich sicher hunderte von Kannen Kaffee gekocht, immer im gleichen Muster: Kaffeekanne spülen und Wasser auffüllen, alten Kaffeefilter entsorgen und neuen einsetzen, den Kaffee löffelweise abgezählt in den Filter geben. Ein Verfahren, das sich scheinbar tief in des Gedächtnis gegraben hat und automatisch abgerufen wird. Wie gesagt, trotz Einsicht in die Bitte und dem Wollen so zu verfahren, ging die Handlung schief. Es klingt vielleicht seltsam aber ich habe mir angewöhnt sobald ich mich zum Kochen der zweiten Kanne entschließe leise vor mich her zu murmeln: „Filtertüte drinnen lassen! Filtertüte drinnen lassen!…“. Das funktioniert eigentlich hervorragend. Heute morgen gibt es jedoch eine interessante Situation. Kurz nachdem ich mein Sprüchlein so vor mich hin murmele spricht mich die Holde an und wir reden über irgendein Thema und auf einmal halte ich die alte Filtertüte in der Hand und habe sie fast in den Mülleimer verbracht, da wird mir schlagartig die Situation bewußt und ich kann die Handlung unterbrechen.
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Noch ein Keep-it-simple-Dinner für Strohwitwer

Ach ja, immer diese Zufälle! Ein lustiger Zufall ist, daß der Chris im selben Zeitraum wie ich Strohwitwer ist. Nun ist Chris nicht irgendwer, sondern hat schon als Hobbykoch die Gelegenheit gehabt seine Fähigkeiten Wolfram Siebeck vorstellen zu können. Im Blog Männer unter sich berichtet er über seine Strohwitwerküche unter dem Kürzel „UFMK“ was „Ultra-Faule-Männer-Küche“ bedeutet und bezeichnend für die Einfachheit seiner Rezepte ist. Das ist spannend, sehr gut zu lesen und natürlich empfehlenswert zum Nachkochen für alle Strohwitwer, die sich wenig Arbeit machen wollen.

Wenn ich Strohwitwer bin habe ich die Möglichkeit die Küche zu genießen, die die Holde nicht mag, ich aber gerne esse. Darunter fällt Fleisch von Hase und Kaninchen. Wie kann es auch anders sein, bei meinem letzten Gang zur Tschechischen Bierbar entdecke ich beim Fleischhändler des Vertrauens Hauskaninchenleber und lasse mich davon zu einem Triplett aus drei Sorten Fleisch inspirieren:

Taubenbrüstchen, Hasenrückenfilet, Hauskaninchenleber
Taubenbrüstchen, Hasenrückenfilet, Hauskaninchenleber

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Keep-it-simple-Dinner für Strohwitwer

Ich bin momentan Strohwitwer, eine merkwürdige Zeit. Genauer gesagt, eher merkwürdig waren die Tage davor, denn dort erlebte ich mal wieder adoleszente Großartigkeitsphantasien: In der Strohwitwerzeit werde ich alle möglichen tollen Dinge machen, die mir die Anwesenheit der Holden vermeintlich nicht gestattet wie z.B. das Sitzen in einer Charlottenburger Großdestille werktags morgens um acht Uhr zum Schultheißtrinken, dazu Soleier knabbern. Aber wie immer, alles nur heiße Luft, die Zeit als Strohwitwer ist völlig normal, nur der Bierkonsum ist leicht aber unbedeutend erhöht. Nun ja, beim Wochendeinkauf habe ich mich etwas verkauft und das kam so: Im Angebot beim Fleischhändler des Vertrauens gibt es frisches Entrecote aus Uruguay. Ich also nichts wie hin und kaufe ein knappes Kilo für zwei Tage. Dabei entdecke ich noch Prime Rip Entrecote dry aged aus deutschen Landen für einen sehr, sehr günstigen Kilopreis aber ich habe ja bereits meine Stücke. Zufrieden begebe ich mich zur „Tschechischen Bierbar“, trinke meine Budweiser und hatte viel Spaß an den Gesprächen, die waren diesmal unbezahlbar. Als ich mich auf den Heimweg mache, komme ich noch einmal am Fleisch vorbei und kann nicht widerstehen. Noch die kleinste Scheibe von den Prime Rib Stücken muß mit und – schluck – das sind ca. 600 gr. Mit 1,5 Kilo Steak gehe ich nach Hause.

Allerlei Entrecote, linkes Stück als Prime Rib dry aged
Allerlei Entrecote, linkes Stück als Prime Rib dry aged

Und jetzt also zu meinem favorisierten Keep-it-simple-Dinner mit einfachstem Aufwand:

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Über die Langlebigkeit von Technologien in meiner Wohnung

Nach gefühlten Jahrhunderten des Wohnens in meiner Wohnung werden in Bälde die Fenster ausgetauscht werden. Zugige doppeltverglaste Holzfenster werden durch Kunststoffenster mit deutlich besserer Isolierungswirkung ersetzt werden. In Anbetracht dieser Maßnahme und angeregt durch Nassim Talebs neues Buch „Antifragilität“ sehe ich mich in meiner Wohnung um und entdecke Dinge von überraschender Langlebigkeit. Wobei es sich nicht um die Langlebigkeit des einzelne Ding an sich, sondern um die Langlebigkeit seines informationellen Gehalts, der „Technologie“ handelt.

Um beim Beispiel Fenster zu bleiben, so findet man in Rom guterhaltene Fenster aus dem dritten Jahrhundert nach Christus, wenn von modernen Fenstern die Rede ist. Wache ich morgens auf, dann habe ich (so ich nicht nachts um die Häuser gezogen bin) im Bett geschlafen, einer Technologie, die es bereits im Alten Ägypten vor mehreren tausend Jahren gab. Begebe ich mich nach dem Aufstehen ins Badezimmer zur Toilettenbenutzung, dann reicht die informationelle Natur der Toilette bis fast fünftausend Jahre nach Mesopotamien zurück. Die alten Römer kannten bereits so etwas wie die Wassertoilette. Stelle ich mich unter die Dusche, dann ist mir bewußt, daß bereits die alten Griechen Duschen nutzten. Die Vorgänger meiner Kaffeemaschine sind seit dem achzehnten Jahrhundert bekannt. Nehme ich dann zum Kaffee ein Buch zur Hand so ist sein ältester bekannter Vorgänger die fünftausend Jahre alte Papyrusrolle und der Buchdruck, als Holzdruck, war bereits 868 n.Chr. in Asien bekannt. Gutenbergs Erfindung der Druckerpresse im fünfzehnten Jahrhundert läßt das moderne Buch vor fast 600 Jahren entstehen.

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Buletten

Ein Grundpfeiler der Berliner Cuisine ist ja nicht wirklich die Currywurst sondern die wesentlich ältere Bulette. Sie ist natürlich auch anderen Landesteilen in Variationen und unter ausgesprochen lustigen Namen wie Frikadelle, Klops oder Fleischpflanzerl bekannt. Zu Zeiten der ehemaligen DDR war sie in Ostberlin unter der putzigen Bezeichnung Grilletta gang und gebe. Der entsprechende Wikipedia-Artikel geht davon aus, daß der Begriff Bulette mit der Napoleonischen Besetzung Berlins eingang in die deutsche Sprache fand und daraus die Bezeichnung Grilletta abgeleite wurde. (Ich muß den @moellus ob seiner profunden Kenntnisse des DDR-Alltags darüber bei Gelegenheit in der kommenden Woche befragen.) Buletten gehören in die Kategorie erschwingliche Lebensmittel und mit etwas Pfiff und den richtigen Zutaten kann daraus auch in der hier beschriebenen Standardversion ein Festschmaus werden.
Für zwei Personen verwenden wir für eine Mahlzeit gut 500 gr Rinderhack, lieber etwas mehr als weniger. Diese Menge wird mit Pfeffer, Salz, Oregano und Paprika gewürzt und mit zwei eingeweichten Scheiben Toast, geriebener Semmel, einem Ei, Petersilie und gedünsteten Zwiebeln vermengt. Die Masse lassen wir dann für eine halbe Stunde bis Stunde zum Durchziehen ruhen. Nach dieser Zeit eventuell nachwürzen und die Stücke in mit den Händen in die gewünschte Form und Größe bringen. Anschließend in einer Pfanne mit heißem Fett goldbraun braten.

Buletten
Buletten

Dazu nehmen wir Salzkartoffen mit Buttersößchen, als Gemüse verwenden wir das was aktuell frisch angeboten wird. Bleibt die ein oder andere Bulette am Abend übrig, so esse ich sie auch gerne am nächsten Morgen kalt um Frühstück. Bei unserem gestrigen Abendessen hatten wir es mit dem Würzen etwas zu gut gemeint und ich selber mußte doch etliche Flaschen Bier als Durstlöscher konsumieren. Passiert halt, ne!

Das hast Du ja gar nicht geplant!

Die Holde spielt leidenschaftlich gern Billiard. Vor vielen, vielen Jahren tat sie das abendelang mit Freundinnen in den Frauencafés der Stadt. Seit kurzem nutzt sie die Billiard-Applikation „Pool“ auf ihrem iPad. Das Spiel spielt sie unter lautstarken Kommentaren wie „Dummkopf“ oder „Was für ein Idiot!“ mit dem virtuellen Gegenspieler. Die Freude dabei ist ihr anzusehen und sie spielt ausgiebig.

Gelegentlich spielen wir beide gegeneinander, wobei unsere Bilanz ausgeglichen ist. Sie begleitet mein Spiel ebenfalls mit Kommentaren, insbesondere wenn ich den Ball in eine andere Tasche als erwartet einloche: „Das hast Du ja gar nicht geplant!“ ist der emotionale Ausruf. Zuerst bin ich bei dem Kommentar verwirrt, denn ich verstehe nicht was sie meint. Auf die Frage warum sie nicht kommentiere wenn ich den Ball nicht einloche, antwortet sie, daß es ja ihr Vorteil sei. Und warum nun eine Bemerkung wenn der Ball unerwartet in eine andere Tasche fällt: „Weil ich mich darüber freue!“.

Ach ja! ❤