Aus einem Lieferwagen stellen zwei junge Männer E-Scooter auf den Bürgersteig. Schön aufgestellt in Reih und Glied, sodass sie keinen Passanten auf dem Gehweg stören. Von hier aus, zentral in Kreuzberg, sollen die interessierten KundÏnnen in alle Richtungen ausschwärmen. Und da kommt er auch schon, der Spießer. Kurze Hosen, Sandalen und Socken. Frotteehütchen und Sonnenbrille, Schnäuzer, ein Bild von einem Spießer. Einen kleinen weißen Pudel führt er an der Leine. „Könnt ihr mal euren Kunden sagen…“ poltert er los. Ja was denn? Ihn stört die Unordnung, die E-Scooter werden mitten auf dem Gehweg abgestellt, die KundÏnnen fahren auch noch auf dem Bürgersteig. Etwas Neues ist plötzlich in der Stadt, neue Technik, neues Verhalten, Chaos, das macht ihn kirre. Ihn, der als Baby lustvoll in die Windeln gekackt hat und den Selbsthaß über die Scham darüber unbewußt als Wut auf das Neue kanalisiert.
Schlagwort: sozialpsychologie
Über die Merkwürdigkeit des Schienenersatzverkehrs
Der Schienenersatzverkehr ist gedanklich eine einfache Sache. Er transportiert die Fahrgäste entlang der Schienen von einem Anfangspunkt zu einem Endpunkt. Dies in beide Richtungen. Anzunehmen wäre, dass mit Ankunft des Schienenverkehrs die Ersatzfahrzeuge bereit stünden um ohne Zeitverzug den Weitertransport zu gewährleisten. Dieses ist mitnichten so. Die in Sichtkontakt fahrenden Busse haben ihre eigene Taktung, die vom Intervall des Schienenersatzverkehrs unabhängig ist. Zwei oder drei Busse fahren, wie gesagt, in kurzen Abständen hintereinander die Haltestellen an und bleiben so in Sichtkontakt. Sichtkontakt zu den Bussen hat damit auch die wartende Menge der Fahrgäste. Und der größte Teil von ihnen drängt auf und in den ersten Bus. Ist das ein massenpsychologisches Handeln? Oder ist das gesellschaftlich induziert indem dem Einzelnen Aktivität oder Hektik als Norm auferlegt wird? Was es auch sei, es bleibt merkwürdig.
Über eine Frage des Aufrechnens
Entlässt ein Unternehmen an einer Stelle Mitarbeiter, um sie durch automatisierte Verfahren zu ersetzen und stellt auf der anderen Seite neue Mitarbeiter ein, die diese Verfahren programmieren sollen, ist es statthaft zu bilanzieren und wenn mehr Mitarbeiter eingestellt als entlassen sind, dieses Tun zu lobpreisen? Eine schwierige Frage, die wir hier nicht beantworten können. Dennoch ist dieses Tun zur Tatsache geronnen und damit in der Welt. Die Bilanzierung an sich zeigt die Reduktion des Menschen auf ein Ding, nein eine Zahl in einer mathematischen Gleichung. Das ist Adiaphorisierung pur. Es scheint zutiefst respektlos zu sein.
Begegnung mit einem Fußballfan
Heute ist DFB-Pokalfinale in der Stadt. Schon seit gestern trifft man, in den jeweiligen Vereinstrikots gewandete Fußballfans auf den Straßen. Selbst im tiefsten Kreuzberg finden sich Fans von Auswärts an meiner Lieblingsbierbar ein. Und man kommt so über das Bier leicht ins Gespräch. Ich erfahre, daß sie nicht ins Stadion gehen werden, da sie keine Tickets bekommen haben; für ein Ticket muß man sich bewerben – das wußte ich nicht. Auch an den bekannten Public-Viewing Örtlichkeiten werden sie sich das Endspiel nicht ansehen. Ich bin etwas überrascht – eine Reise quer durch die Republik zum Pokalfinale um das Spiel weder im Stadion noch im Publikum an quasiöffentlichen Gelegenheiten zu sehen – ja was denn dann? Die Lösung ist ziemlich einfach. Der Fan und seine Begleitung schauen das Spiel mit und bei einer Berliner Freundin im TV. Die Stimmung hier in der Stadt sei eben eine ganz besondere meinen sie – so mußten sie die Reise machen. Erstaunlich, nicht wahr?