Eine Juristin twittert, daß die Verlautbarungen der Artikelgruppe 29 nicht das letzte Wort seien, sondern wenn Aufsichtsbehörden die Verlautbarungen durchsetzen wollen, diese von einem Gericht geprüft werden können. Der Mitarbeiter einer Aufsichtsbehörde der Länder bezweifelt die Kompetenz und Zuständigkeit eines Gerichts. Die Mitglieder der Artikelgruppe seien „informatorisch und juristisch“ so weise (nicht sozialwissenschaftlich, nicht politisch, nicht philosophisch, also mehr oder weniger außerhalb der Welt, der Welt entrückt), daß sie also nur Erwägungen des letzten Wortes sprechen, sie sind unfehlbar – demiurgisch. Nein – unfehlbar sind sie sicher nicht und sie erschaffen auch sicher nicht die Welt. Ihre Verlautbarungen sind immer ideologisch. Deshalb ist Überprüfung richtig und wichtig. Und es wundert doch schon, daß Gewaltenteilung verneint wird. Das ist schlechte Praxis.
Schlagwort: Soziologie
Über eine Frage zur Lustlosigkeit
Die Lustlosigkeit für das körperliche Training kann aus einem unausgeruhten oder auch gesundheitlich angeschlagenen Körper resultieren. Ruhe ist dann angesagt. Die Frage jedoch woher die Lustlosigkeit zum Denken kommt scheint rätselhaft. Ist das womit gedacht wird, das Denkende, etwas, das sich ebenfalls erschöpfen kann oder gesundheitlich angeschlagen sein kann?
Über die Taxonomie
Taxonomien mögen in der Logik und im Formalen ihre Berechtigung haben. Die Abstraktion und Deduktion unterstützen sie vortrefflich. Über das Verteilte, das Zerstreute, das Plurale, das Zufällige, das Vieldeutige sagen sie nichts. Deshalb sagen sie wenig über das Lebendige.
Über die Uniformität des Büros
Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts war die Idee der McDonaldisierung der Gesellschaft ein aller Munde. Die McDonaldiserung des Arbeitslebens manifestiert sich am Sichtbarsten heutzutage im Großraumbüro. Quantifizierung, Erwartbarkeit und Homogenität sind die Kennzeichen dieser Transformation. Meist ist es Mitarbeitern nicht gestattet diese einheitlichen, glatten, überall auf der Welt wiedererkennbaren Gelegenheiten zu verändern, zu individualisieren. Das ist ein starkes Zeichen der Kolonialisierung des Geistes der Mitarbeiter im Namen und im Sinn der Zwecke der Organisation. Das Großraumbüro ist der moderne Wiedergänger Johann Joachim Beckers „Kunst- und Werckhaus“.
Über Routine
Fragen wir doch einmal was an Routine schlecht sein kann. Im Reich der Notwendigkeiten und Zwecke kann sie genau das Gegenteil, das Richtige sein. Denn die Routine kann die Gedanken fließen lassen, die sich dann zur Spekulation aufraffen und sich wieder hinterfragen und sich reflektierten. In der Routine können sich die Rancièreschen Subjektivierungen entfalten, Dissens entstehen, sich Politik vorbereiten. Das Gegenteil von Routine benennen wir Innovationsprozeß. Ein, in der heutigen Zeit, positiv konnotierter, vom Reich der Notwendigkeiten und Zwecke fast eingeforderter Zustand des Tuns. Nur was macht es mit dem Einzelnen wenn der Zustand auf Dauer gestellt ist?
Über verteilte Zufriedenheit
Erlösungsphantasien verstellen den Blick auf die Wirklichkeit. Wenn der Mensch erstmal Dies oder Das getan habe, wenn Person XY sich endlich dafür für die Sache Z entschließen würde – die Welt wäre im Lot. Der Irrtum ist wie folgt: einerseits ist hier eine Überschätzung der Person, ihre Subjektivität alleine könnte eine Änderung ihrer Verhältnisse hervorbringen und andererseits verkennt sie gleichzeitig die Objektivität der Wirklichkeit, ihre Widerstandskraft, die auch andere in ihrem Handeln bricht. Eine dauerhafte Zufriedenheit wird nicht aus einem einzigen Bereich des Lebens erreicht. Eine dauerhafte Zufriedenheit ist eine verteilte, die das Risiko der objektiven Verhältnisse streut. Zufriedenheit in der Relation zur Partnerin, in der Arbeit, im Hobby, im Lesen, im Musizieren, im Sporten u.v.a.m.. Schlagen die Verhältnisse in einem Bereich zu, so werden die anderen unabhängig vom Verlust sein. Und die Trauer um den Verlust wird sich in Maßen halten.
Über eine Frage zu Interesse und Entfremdung
Hier hatten wir über das „Interesse für“ und das „Interesse an“ berichtet. Beim weiteren Nachdenken darüber scheint das „Interesse für“ etwas aus dem Alltag, den Notwendigkeiten und den Zwecken geschiedenes zu sein, daß sicherlich nicht in Reinform zu finden ist. Wenn das so ist, dann ist das „Interesse für“ auch der Entfremdung entzogen, die die Welt des bedingten Menschen im Alltag, den Notwendigkeiten und den Zwecken begegnet. Steckt dann nicht im „Interesse für“ auch ein Stück Freiheit?
Über die Verwendung des Begriffes Interesse
Alain Caillé entfaltet in seinem Text „Die doppelte Unbegreiflichkeit der reinen Gabe“ die Verwendung des Begriffes „Interesse“. Er unterscheidet das „Interesse an“ vom „Interesse für“. Das „Interesse an“ wird instrumentell gebraucht, es hat Werkzeugcharakter. Das „Interesse für“ etwas oder jemanden ist sich, sozusagen, selbst genug; die Handlung oder Tätigkeit „hat in sich ihr eigenes Ziel“. Die Gegenpunkte seien einerseits Interesselosigkeit und andererseits Desinteresse. Natürlich ist der „Anteil“ der beiden Interessen an einer Handlung, Tätigkeit, einem Etwas oder Jemandem unterschiedlich und im Zeitablauf variabel. Auch kann das jeweilige Interesse allein vorliegen. Dies sei am Beispiel der Arbeit erläutert. Arbeitet jemand in einem Unternehmen, das ihm ganz oder zu Teilen gehört so werden hier „Interesse an“ und „Interesse für“ vorliegen. Nach einem Verkauf oder Änderung der Position mag sich das „Interesse für“ verflüchtigen und das „Interesse an“ mag alleine übrigbleiben. Caillé zitiert einen Satz von Auguste Detoeuf:
Man glaubt zunächst, man würde für sich arbeiten, man vergegenwärtigt sich dann, dass man für seine Frau arbeitet – man ist später überzeugt, dass man für die Kinder arbeitet, man nimmt schlussendlich wahr, dass man während der ganzen Zeit gearbeitet hat, um zu arbeiten.
Werden die Interessen auch tatsächlich in der Lebenswelt gedanklich sortiert oder wird das „Interesse für“ nicht vielmehr auch als das „Interesse an“ wahrgenommen? Und welche Folgen könnte diese Verwechselung der Interessen mit sich bringen?
Über Alterszuschreibungen
Mit Ágnes Heller läßt sich der folgende Gedankengang entwickeln:
Das Alter ist ein objektiver Begriff. Das Alter ist mit einem Meßsystem reliabel erheb- und es ist darstellbar. Bemächtigt sich die, nach Kant apriori bei jedem Menschen vorhandene Einbildungskraft dieses Begriffs, ist es möglich über diesen objektiven Begriff alles zu denken. Die Einbildungskraft beeinflußt das Denken und umgekehrt. Die Phantasie ist in der Lage Vor-Urteile zu erzeugen.
Ältere Menschen sind risikoscheu weil sie sich ihrer Endlichkeit bewußt sind.
Ältere Menschen sind risikofreudig weil sie sich ihrer Endlichkeit bewußt sind.
Beide sich widersprechende Kausalaussagen sind in der Gesellschaft vorhanden und deshalb Vor-Urteile.
Die „narrative Verzerrung“ ist nach Nassim Taleb das Unvermögen logische Verknüpfungen zwischen einer Reihe von Fakten zu unterlassen. Das Bedürfnis einer Reihe von Fakten (kausale) Narrative oder Muster zuzuschreiben ist unwiderstehlich; erst dann ergeben Fakten Sinn und Ordnung, geben Kontrolle über die Fakten. Werden z.B. Wahlentscheidungen nach Altersgruppen graphisch präsentiert so werden sie interpretiert, eine Betrachtung ohne Extraktion von Mustern bzw. ohne eines Narrativs oder das Eingeständnis „das sagt mir nichts“ kommen so gut wie nie vor. „Narrative Verzerrung“ kann sowohl die Anwendung als auch die Generierung von Vor-Urteilen sein. Das Sprechen über das Ergebnis nach Altersguppen zum Brexit im Vereinigten Königreich ist mit Vor-Urteilen behaftet.
Die technisch-mathematische Anwendung der Mustererkennung ist das Data Mining und Big Data. Für viele sind die Muster die Logik der Fakten, nicht etwa nur das Korrelat. Dabei kann es zu Fehlschlüssen kommen. Wäre es nicht sinnvoll in diesem Bereich von soetwas wie maschinellen Vor-Urteilen zu sprechen?
Wo ist der Ort des kulturellen Diskurses?
Vom achtzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert waren die Salons und Kaffeehäuser die Orte des kulturellen Diskurses. Ágnes Heller schreibt in ihrem Buch „Die Welt der Vorurteile“ über diese vorurteilsfreien Diskussionen. Einige Charakteristika der Gespräche als lose Aufzählung:
Jeder darf sprechen. Es gibt keinen Neid, keinen Ehrgeiz, keine Frustration, keine Überlegenheit. Niemand spricht ad hominem. Es wird nichts entschieden, Konsens ist unnötig. Die Freude am Gespräch ist das einzige Interesse.
Wo sind in unserer Zeit die Orte des Gesprächs um des Gesprächs willen? Die einzigen Orte die ich gefunden habe sind die Bierbars, die ich (gelegentlich) besuche…