Über verteilte Zufriedenheit

Erlösungsphantasien verstellen den Blick auf die Wirklichkeit. Wenn der Mensch erstmal Dies oder Das getan habe, wenn Person XY sich endlich dafür für die Sache Z entschließen würde – die Welt wäre im Lot. Der Irrtum ist wie folgt: einerseits ist hier eine Überschätzung der Person, ihre Subjektivität alleine könnte eine Änderung ihrer Verhältnisse hervorbringen und andererseits verkennt sie gleichzeitig die Objektivität der Wirklichkeit, ihre Widerstandskraft, die auch andere in ihrem Handeln bricht. Eine dauerhafte Zufriedenheit wird nicht aus einem einzigen Bereich des Lebens erreicht. Eine dauerhafte Zufriedenheit ist eine verteilte, die das Risiko der objektiven Verhältnisse streut. Zufriedenheit in der Relation zur Partnerin, in der Arbeit, im Hobby, im Lesen, im Musizieren, im Sporten u.v.a.m.. Schlagen die Verhältnisse in einem Bereich zu, so werden die anderen unabhängig vom Verlust sein. Und die Trauer um den Verlust wird sich in Maßen halten.

Über Einzeller und künstebezogene Praktiken

Als Einzeller wäre der Mensch unsterblich. Da der Mensch kein Einzeller ist, ist er auch sterblich. Scheint logisch.

Eine schwedische Studie zeigt, so Winfried Menninghaus in „Wozu Kunst?“ auf Seite 274:

Das Resultat ist eindeutig: Regelmäßigkeit und Häufigkeit künstebezogener Praktiken werden mit geringer Mortalitätsrate belohnt.

Solche Praktiken seien Selbermusizieren, Schreiben, Theaterspielen, Malen, Bildhauern aber auch Konzert-, Museums-, Theaterbesuche und Besuche von Lesungen oder Lesen. Künstebezogene Praktiken gehen also mit einem längeren, vielleicht auch besserem Älterwerden einher. Bei aller Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse und aller Vorsicht einer Annahme unkritischer Kausalität, könnte in der Vermutung Kants „ästhetische Lust führe ein Gefühl der Beförderung des Lebens bei sich“ (Menninghaus S.275) doch ein Körnchen Wahrheiten enthalten. Es kann sicherlich nicht schaden, sich künstebezogenen Praktiken zuzuwenden.

Über das Älterwerden und die Surf-Ente

Das Älterwerden bevorzugt Praktiken, die wir Rituale nennen wollen. Ein Ritual ist hier eine regelmäßig im Zeitablauf wiederkehrende soziale Handlung. Die Handlung strukturiert die Eindimensionalität der Zeit und bietet Orientierung. Wir wollen sie so einfach sehen und nicht mit Pseudoreligiosität, Mythen oder Zeremonien verschiedenster Art aufladen. Ob der abendliche Stammtisch mit Freunden beim Bier oder das wochenendliche Frühstück beim Mettbrötchenhändler des Vertrauens oder gar der einmal im Jahr wiederkehrende Neujahrsempfang, alles dies unterstützt die positiven Seiten des Älterwerdens.

Ein zweiter Effekt des Älterwerdens ins das selektiv auftretende Vergessen.  Der Geist konzentriert sich auf das Wichtige und gibt so Kapazitäten frei für Neues. Aktuell Irrelevantes muß zurücktreten wird aber nicht vollständig gelöscht sondern bei Bedarf mit Unterstützung erinnert.

Ein weiterer Effekt des Älterwerdens ist der gelassene Umgang mit dem Phänomen Zufall. Dies scheint auf den ersten Blick kindisch und nicht-philososphisch, ist aber weise. Die Konzentration auf das Relevante ist darin existent, das Verzetteln und Herumirren zwischen Irrelevantem bleibt aus.

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Figuration des Badetuchs

Die Kulturtechnik der Körperpflege ist uralt und wurde bereits von den Ägyptern vor tausenden von Jahren betrieben. In der heutigen Welt und hier insbesondere in Hotels, scheint diese Kulturtechnik auf wundersame Weise aufgespalten zu sein. Als Indiz dafür betrachten wir das Badetuch. Befinden wir uns in unserem ganz persönlichen Bereich – in unserem Zuhause – so verwenden wir nach jeder Gelegenheit des Duschens oder Badens ein Badetuch. Das Badetuch ist groß und sehr weich. Es umschmeichelt unseren Körper, es streichelt uns, es spendet uns Wärme, es liebt uns und unseren Körper ohne Einschränkung. Begeben wir uns auf Reisen und wollen uns nach dem Duschen oder Baden auf dem Hotelzimmer in das Badetuch hüllen so treffen wir auf etwas höchst Unerfreuliches. Das Badetuch hat die Größe eines Taschentuchs, es ist kaum als Lendenschurz zu gebrauchen, es kratzt und duftet oft genug streng nach Desinfektionsmittel. Wir halten uns mit ihm so kurz wie möglich auf, nutzen das bißchen Trockeneigenschaft die es hat und flüchten so schnell wie möglich in unsere Wäsche. Ganz anders tritt uns das Badetuch im sogenannten Spa oder Schwimmbad eben des gleichen Hotels entgegen. Meist in beruhigender hellblauer Farbe, in imposanter Größe und mit einer Weich- und Zartheit, wie wir sie nur von unserem heimischen Badetuch kennen, wird es uns umhüllen. Wie kann das sein? Aufgrund welcher Gründe erscheinen uns unterschiedliche Badetücher und teilen uns in welche Figuration auf?

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Die Kraft meiner Worte

Der Schöpfer-Gott erschafft die Welt durch das Wort. Der Schöpfer-Gott handelt durch das Wort. Der Schöpfer-Gott spicht in Wort und Tat: „Es werde Licht!“ Und es ward Licht. Mein Wort ist nicht demiurgisch: „Es werde Spiegelei!“ Und nichts passiert. Ein Mensch eben…

Mit bestem Dank an Frau Krämer für diesen inspirierenden Moment.

Unterschiedliche Grade des Nichtstuns

Ziemlich schnell erfolgt nach den üblichen Begrüßungsfloskeln beim wöchentlichen Wochenendanruf die Frage: „Was habt ihr gemacht?“. „Nichts, und selber?“. „Nichts“. Diese „Nichts“ sind jedoch Grade unterschiedlicher Aktivität; ihnen ist ein Gemeinsames inne, nämlich, daß die Wohnung nicht verlassen wird. Mein „Nichts“ ist ein wirkliches Nichtstun, das von den Tätigkeiten Sonntagzeitungen und Buch lesen, von der Couch an den Esstisch und zurück schleppen, sowie einigen kurzen Aktivitäten zum Überleben eingerahmt ist. Dieses wird auch an meinem sonntäglichen Umfang von unter 1800 Schritten deutlich. Das „Nichts“ der Gesprächspartner ist eben kein wirkliches Nichts sondern umfaßt vielfältige Tätigkeiten wie Balkon sommerfest machen, Wohnung saugen, Wäsche waschen und im Keller aufhängen u.v.m. Mein „Nichts“, das ich voller Inbrunst tue läßt mich jedoch im Gespräch unsicher sein, es stellt sich sogar ein wenig Scham ein. Gut, daß die Gesprächspartner dies durch das Telephon nicht bemerken…

Minuten unterschiedlicher Dauer

Ich stehe auf dem U-Bahnhof Hallesches Tor und warte auf den Zug. Vier Minuten bis Ankunft. Die Sonne scheint und so gehe ich zur Erbauung langsam bis zum Ende des Bahnsteigs und wieder zurück. Dies dauert ungefähr zwei Minuten. Die Fahrzeitanzeige zeigt immer noch vier Minuten an. Zwei weitere Minuten vergehen – immer noch vier Minuten bis Ankunft des Zuges. Solche sich dehnenden Minuten kenne ich selbstverständlich aus langer Erfahrung, doch auch der ärgste Skeptiker lernt hier in der Nahverkehrsmatrix die Nichtlinearität der Zeit. Natürlich machte ich auch die Erfahrung in der anderen Richtung: Aus vier oder fünf Minuten wurden im Bruchteil eines Wimpernschlages nur noch eine Minute Wartezeit. Die atmende Zeit ist ein gar faszinierendes Ding.

Printsonntag

Heute ist Sonntag und neben mir auf der Couch stapeln sich diverse Zeitungen in einem Umfang, der mich trefflich eine Weile beschäftigt hält. Die Sonntagszeitung des Vertrauens, die Sonntagsausgabe der Tageszeitung des Vertrauens, zwei Wochenzeitungen, sowie noch Teile der Freitags-, Sonnabends- bzw. Wochenendausgabe zweier weiterer Tageszeitungen. Von Letzteren allerdings nur die Feuilleton-, Gesellschafts- und Stilteile. Feuilleton sowie Gesellschaft und Stil sind Rubriken, deren Inhalt ich weniger als Rauschen empfinde als Nachrichten in den Politik- und Wirtschaftsteilen. Und die relevanten Angelegenheiten aus Politik oder Wirtschaft werden (zumindest seit Schirrmacher) im Feuilleton diskutiert. Heute frage ich mich ob dieser Zeitungs-Lese-Umpfang eine eine Art Eskapismus darstellt, denn auch andere Angelegenheiten verlangen eigentlich meine Aufmerksamkeit, denen ich mich so bequem entziehen kann.

Urlaubslektüre

Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit passe ich diesmal die Urlaubslektüre Ort und Zeit an. In der kalten Jahreszeit ist an der Ostsee ein kontemplatives Liegen am Strand in der Sonne samt Lauschen der Wellen und ihrer meditativen Wirkung eher unangemessen. Gehen am Strand und auf der Promenade sowie durch die Wälder des Naturschutzgebiet Granitz sind das Gebot der Stunde. Begleitend dazu ist David Le Bretons Essay „Lob des Gehens“ im Gepäck. Ich darf nicht vergessen zu recherchieren ob ein Essay über den Mittagsschlaf publiziert ist, denn der Mittagsschlaf ist ein Zustand in den ich im Urlaub ohne willentliche Anstrengung falle. Das will ich verstehen.

Ein weiteres Buch mit vielen Essays zu den kleinen Dingen des Lebens, die aber einiges über die Gesellschaft als Ganzes sagen, reist ebenfalls mit. Tilman Allerts Sammlung „Latte Macchiato“ liest sich vergnüglich und führt immer wieder zu Aha-Erlebnisse. Titel wie „Die Zukunft des Grandhotels“, „Vom gemeinsamen Mahl zur Tischflucht des modernen Menschen“ oder „Weihnachten feiern. Eine Typologie der Ritualität“ sprechen für sich selbst. Sie sind ein Lesevergnügen während eines Hotelaufenthalts mit gutem Essen kurz vor Weihnachten.

Monothematik

Man photographiert Dinge um sie aus dem Sinn zu verscheuchen. (Franz Kafka nach Gustav Janouch)

Für dieses Jahr habe ich bewußt keine Herzliste aufgestellt, denn mir erscheint es wichtiger die Vorauaussetzungen der Notwendigkeit einer solchen Herzliste, “…was aber im Alltag auf Grund von Zeitmangel, Stress oder fehlender Ruhe meist untergeht”, möglichst zu verändern. Die Grundstock für das gute Leben ist die Vermittlung von vita activa und vita contemplativa und nicht ein Übergewicht von „Aktivität“. Auch einen schriftlichen Jahresrückblick habe ich mir verkniffen, dafür aber im Gesichtsbuch die Funktion Jahresrückblick auf Basis der eingestellten Photographien genutzt. Die Kommentare zum Ergebnis sind irgendwie belustigend, von „Essen und Bier, mehr gabs nicht…“ über „man könnte sagen: beer & burger“ und „fast etws monothematisch – aber genau mein Ding“ zu „geradezu kronknorke“ wird das Übergewicht von Essens- und Bierbildern beschrieben. Dabei ist dies nur eine ziemlich kleine Auswahl an Bildern, die ich an anderen Orten aufbewahre. Die für mich wirklich wichtigen Bilder, die, die ich sehe wenn ich die Augen geschlossen gehalte, die sozusagen aus dem Unbewußten kommen sind das gezeigte Panorama und die Homebrewingbilder. Letzteres ist sicher keine Überraschung, das Panorama „verstehen“ nur drei Menschen mit denen ich im Gesichtsbuch verbunden bin.