Die Rechtschreib- und Grammatikkorrektur des Schreibprogramms markiert das Wort „Adiaphorisierung“ als falsch geschrieben. Das in der Korrektur enthaltene Vokabular ist unzureichend. Aber es schleicht sich der Gedanke ein, das Programm selbst sei adiaphorisiert.
Schlagwort: technologie
Über einen Sonntag 1
Kaffeemaschine anschmeißen. Sonntagzeitungen durchblättern. Buch lesen. U1 fahren. Kaufhaus besuchen. Bier trinken. Taxidrivercap kaufen. U3 benutzen. Modemesse beiwohnen. Sardinen essen. U-Bahn nehmen. Nachbarschaftspark photographieren. Schnitzel verzehren. Eltern anrufen. TV schauen. IPA ziehen. Blogpost hochladen. Gute Nacht.
Über Live Canning
Aktuell läuft die Berlin Beerweek. Zwei Events dem Live Canning gewidmet, dem Abfüllen von Craftbier vor Publikum. Das regt zum Nachdenken an.
Aus der Fadheit industriell produzierter Biere hat sich die Craftbierszene entwickelt. Diese Szene wächst. Das Brauen besonderer Biere deren Geschmack im Gegensatz zur Fadheit der industriellen Biere steht scheint ein Schritt zur Ästhetisierung der Brauwirtschaft zu sein. Die Hervorhebung sinnlicher Wahrnehmung, die Betonung von besonderem Genuß und Geschmack deuten darauf hin. Dass es die Beerweek überhaupt gibt zeigt u.a. die Eventisierung rund um das Craftbier. Auch das Live Canning ist als Event Teil davon aber noch mehr. Während des Events setzt es den Druck künstlerischer Etiketten auf die Dosen die Ästhetisierung fort. Die Anzahl der Dosen sind limitiert. Die Dosen werden zum Kunstwerk und zum Sammlerobjekt. Das Publikum beim Live Canning wird so zur Anhängerschaft. Und diese wird wiederkommen… Ästhetisierung und Eventisierung katechisieren auch die Gläubigen, die Craftbiertrinkenden.
Über die großzügige Kasse
Sommerschlußverkauf 2018. Kaufhäuser werben mit Zeitungsbeilagen um Kundinnen für ihre Produkte. Die Orginalpreise im Vergleich zu den reduzierten Preisen sollen das Geld im Portemonnaie der möglichen Kundinnen lockern. Ein weiterer reduzierter Preis falls die mögliche Kundin 2 Stück des Produkts nimmt. Zwar ist Geld ausgegeben eben ausgegeben und nicht mehr da aber wen kümmert es im Moment des Bezahlens. Einmal gehen lassen, nur einmal… An der Kasse dann die Überraschung. Statt des Nehmen-Sie-2-Stück Preises soll die Kundin noch einmal deutlich weniger zahlen. Verwirrung macht sich breit. Die Kassiererin weiß die Antwort: „Die Kasse war es!“. Dieser Ausspruch entlastet die Beteiligten am Bezahlprozeß, die Kassiererin und die Kundin. Die einhellige Meinung ist, die Maschine habe recht – nur warum bloß? Die Kundin wird das Ergebnis nicht hinterfragen. Warum aber nicht die Kassiererin?
Über das Organigramm
Das Organigramm ist ein merkwürdiges Ding. Linien und Kreise, Kästchen und Dreiecke, Pfeile und Buchstaben breiten sich auf der zweidimensionalen Fläche aus, sei sie aus Papier oder sei sie ein Bildschirm. Sie stellen etwas dar, was eigentlich drei- – nein – mehr- oder multidimensional ist. Sie stellen soziale Verhältnisse zwischen Personen oder Personengruppen dar, reduziert um die vielen Eigenheiten der Personen selber. Sie sind eine hierarchische und kommunikative Konstellation. Sie zeigen von den Personen ihr Verhältnis zueinander in Bezug auf Befehl und Gehorsam. Diese Reduktion der Komplexität menschlicher Eigenheiten und Verhältnisse auf Befehl und Gehorsam und die Zweidimensionalität der Fläche sind zusammenbetrachtet einerseits grotesk andererseits aber interessant anzusehen. Grotesk: das Oben und das Unten auf dem Organigramm entsprechen Befehl und Gehorsam in der Organisation, ein Bild der Macht und der Ohnmacht. Interessant: wer steht darauf? Wer hat hier das Sagen? Das Organigramm zeigt die Adiaphorisierung der Menschen durch die Organisation. Die visualisierten Positionen des Organigramms, die weit voneinander entfernt sind, sei es vertikal, horizontal oder auch diagonal haben sich nichts zu sagen, sie zeigen organisierte Gleichgültigkeit.
Über den Wasserrohrbruch
Der Luxus des täglichen Duschens wird erst dann bewußt sobald er verschwunden ist. Zwei Heißwasserrohrbrüche an zwei Tagen hintereinander bringen das zur Geltung. Nach dem ersten Rohrbruch ist am Tag darauf eine Möglichkeit vorhanden – lauwarmes Wasser ohne Druck ist in der Leitung. Keine überzeugende Sache. Nach dem zweiten Rohrbruch ist das Heißwasser nun restlos abgestellt, tagsüber auch die Kaltwasserleitung. Die Feuerwehr pumpt ab, 300 m3 . Aus einem Gulli auf dem Platz vor dem Haus sprudelt es wieder heraus.
Der Wasserkocher wird umfunktioniert – oder doch nicht – er tut ja was er soll. Die Verwendung des erhitzten Wassers ist eine andere. Waschlappen werden eingesetzt – unschön. Die wunderbare Kulturtechnik der Körperpflege regressiert. Wie lange wird das Heißwasser wohl abgestellt sein? Das Fell beginnt bereits zu jucken …
Über die Merkwürdigkeit des Schienenersatzverkehrs
Der Schienenersatzverkehr ist gedanklich eine einfache Sache. Er transportiert die Fahrgäste entlang der Schienen von einem Anfangspunkt zu einem Endpunkt. Dies in beide Richtungen. Anzunehmen wäre, dass mit Ankunft des Schienenverkehrs die Ersatzfahrzeuge bereit stünden um ohne Zeitverzug den Weitertransport zu gewährleisten. Dieses ist mitnichten so. Die in Sichtkontakt fahrenden Busse haben ihre eigene Taktung, die vom Intervall des Schienenersatzverkehrs unabhängig ist. Zwei oder drei Busse fahren, wie gesagt, in kurzen Abständen hintereinander die Haltestellen an und bleiben so in Sichtkontakt. Sichtkontakt zu den Bussen hat damit auch die wartende Menge der Fahrgäste. Und der größte Teil von ihnen drängt auf und in den ersten Bus. Ist das ein massenpsychologisches Handeln? Oder ist das gesellschaftlich induziert indem dem Einzelnen Aktivität oder Hektik als Norm auferlegt wird? Was es auch sei, es bleibt merkwürdig.
Über den korinthischen Helm
Im Alten Museum, in der Ausstellung „Griechische Kunst“ sind im Bereich „Zeit der Helden -Das frühe Griechenland“ einige Kriegshelme, auch korinthische Helme genannt, ausgestellt. Ihre Größe überrascht, sie fallen eher klein aus und es stellt sich die seltsame Frage ob die Köpfe der Träger damals kleiner waren als heute. Oder ist das nur eine Sache der Perspektive? Sie wirken auch durch die Dicke bzw. Zartheit des Materials eher filigran – eierschalenartig. Wie können wir uns heute die Träger von damals vorstellen? Sie verbergen ihre Geheimnisse vor uns und teilen uns doch so viel mit und regen das Spekulative in uns an. Sie sind einfach schön.
Über die Uniformität des Büros
Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts war die Idee der McDonaldisierung der Gesellschaft ein aller Munde. Die McDonaldiserung des Arbeitslebens manifestiert sich am Sichtbarsten heutzutage im Großraumbüro. Quantifizierung, Erwartbarkeit und Homogenität sind die Kennzeichen dieser Transformation. Meist ist es Mitarbeitern nicht gestattet diese einheitlichen, glatten, überall auf der Welt wiedererkennbaren Gelegenheiten zu verändern, zu individualisieren. Das ist ein starkes Zeichen der Kolonialisierung des Geistes der Mitarbeiter im Namen und im Sinn der Zwecke der Organisation. Das Großraumbüro ist der moderne Wiedergänger Johann Joachim Beckers „Kunst- und Werckhaus“.
Über das Mogulieren
Heute wurde auf Twitter an die „Microblogging Conference 2009“ in Hamburg erinnert. indenti.ca, Twitter, Pownce, Jaiku und Plurk waren Inhalte der damaligen Diskussionen. Dazu gab es eine Vielzahl an Livestreamingdiensten wie z.B. Mogulus. Die Nutzung wurde als „Mogulieren“ bezeichnet. Diese Vielfalt an unterschiedlichen Services ist Geschichte. Das Heute ist die Zeit der Öde, die Zeit der Riesenplattformen, die Zeit der Datenindustrie. Oder blüht da etwas Neues im Verborgenen?